Kamp Version 2.0
Jede*r hat diesen einen Künstler, mit dem er oder sie groß geworden ist. Wo man den Start, das Auftauchen, die ersten Songs hautnah miterlebt hat. Und das verbindet einen für immer. Dem Künstler ist das natürlich nicht bewusst, seine Welt dreht sich auch ohne den Fan der Stunde Null weiter. So zirka verhält es sich auch bei Kamp und mir. Gleiches Geburtsjahr, gleicher Vorname, gleicher Versager – aber jeder an einem anderen Ort. Kamp aka Florian Kampelmühler in Wien, das damals, Ende der 1990er, in Sachen HipHop Linz hinterherlief, ich in Klagenfurt. Die Entfaltungsmöglichkeiten waren in Wien selbstverständlich bedeutend größer und auch imponierender als was Klagenfurt zu bieten hatte. Und vielleicht wäre ich nie über Kamp gestolpert, gäbe es nicht FM4. »Tribe Vibes« war ein Fixtermin und eines Nachts hörte ich den jungen Kamp MC mit großer Klappe alles dissen, was es gibt, und sich selbst als die Zukunftshoffnung für österreichischen, ja sogar deutschen Rap huldigen. Imposant. Natürlich Flow-technisch inspiriert von deutschen Rappern, aber der spricht die eigene Sprache, endlich mal was mit etwas mehr Lokalkolorit. Über Napster, Limewire oder Soulseek findet man hier und da einige Tracks vom Kamp, die man dann euphorisch auf und ab hört. Es folgt der Release von »Freestyle King Siz’Em Up Town Street Rockin’« (1999), das weiterhin den Fokus Battlerap hat. Im Laufe der Jahre wird Kamp immer sicherer und es folgen ein paar Mixtapes, Singles und EPs. Kamp ist vom heute bekannten Selbstbild aber noch weit entfernt. Kein Versager, sondern einer mit goldener Zukunft, die Welt steht ihm offen.
Versager als Markenzeichen
Das Ganze ändert sich dann ab 2000. Deutschrap ist mittlerweile geplatzt wie die Dot-com-Blase und nicht mehr jeder wird gesigned. Kamp entfernt sich vom Battlerap und geht in die prägende Zukunftsrichtung des Versagers. Von »Santa Klaus & Hasenzahn« (2001) bis zu »d.K.d.t.B.« (2002) wird es inhaltlich immer persönlicher. Kamp erzählt Episoden aus seinem Leben und das ist weit entfernt von Glamour, sondern zeichnet den jungen Kamp als immer wieder in Probleme stolpernden Jugendlichen. Auf dem starken »Mode« Debüt 2004 bekommt man langsam ein gutes Gefühl dafür, was Opiummusik ist und wieso sich 60 bpm als perfekt für Kamp herausstellen. Beats von Saiko und Whizz Vienna erschaffen hier den unverkennbaren Kamp-Sound und bei »Solo« und »Stoß mich nicht!« wird einem schnell klar, dass die großen Sprüche aus der Anfangszeit nun der Vergangenheit angehören und das Leben eine Mischung aus Hochs auf Alkohol und Drogen und Tiefs sind, die man allein daheim in seinem Zimmer verbringt. Als wüsste Kamp bereits, was in der Zukunft auf ihn wartet, verinnerlicht er den Versager und macht ihn zu seinem Markenzeichen.
Auf »Mode« (2004) folgt »Neue Mode« (2006) – die Produktion wird immer stärker und dank zusätzlichem Support von Brenk, Buzz und Mainloop neben Whizz Vienna wird das Album ein rundes Ding. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, wann Kamp den endgültigen Durchbruch schaffen wird, beinahe gelingt ihm das mit einer Nominierung für den Amadeus Award 2007. Natürlich wird Kamp nicht »Best Alternative Act« und man findet auf dem »Die alten Filme« Best-of-Album (2007) mit dem Track »Amadeus Ade« eine Abrechnung mit den Awards und Musikexpert*innen in Österreich. Auf dem später folgenden »Amadeus Ade 2« wird auch noch Martin Blumenau gedisst, der sich in einem FM4-Artikel nicht gerade positiv über Kamps Verhalten äußert und den VOZs vorwirft, schwerst betrunken die Preisverleihung gestört zu haben. Es sollte dann noch bis 2009 dauern, bis das gefeierte Album »Versager ohne Zukunft« erscheint und Kamp auch in Deutschland nicht mehr nur im Untergrund bekannt ist. Sehr zum Leidwesen aller Tua-Fans wird »Versager ohne Zukunft« in der »Juice« zum Album des Monats erkoren und Kamp bekommt auch über die Grenzen Österreichs hinaus endlich den Respekt bzw. Hass, den er verdient. Es folgen Features auf verschiedensten Alben von etablierten deutschen Rappern und Kamps Zukunft scheint gesichert zu sein.
Aber natürlich kommt alles anders. Erstmal wird Kamp Teil von »Am Strom« – ein österreichisches HipHop-Festival, das von 2009 bis 2011 stattgefunden hat. Um ca. 2010 fängt Kamp in der Sneaker Gallery zu arbeiten an und sein Fokus driftet langsam, aber sicher in diese Richtung. 2010 trägt er zur Single »Meine Stadt« bei, auf der Nazar, Raf Camora, Chakuza und Kamp im Auftrag der SPÖ ein Loblied auf Wien singen. 2011 ist er auf der von Whizz Vienna produzierten »Juice« Exklusive EP »Achse des Schönen« zweimal als Feature-Gast bei Prinz Pi dabei. Auf dem Track »Sneakerking 2« geht es für die zwei Sneakerfreaks nur noch um die Schuhe, die die Welt bedeuten. So gehen die nächsten Jahre weiter, Kamp taucht hier und da mal als Feature-Gast auf, für einen eigenen Release reicht es aber nicht mehr. Warum das so war, erfährt man auf dem neuen Album, das offiziell eine Doppel-EP ist, denn nach »Versager ohne Zukunft« hat Kamp sich geschworen, nie mehr ein Album zu veröffentlichen.
Mehr Florian, weniger Kamp
Begleitet von zwei Videos und ungewöhnlich viel Promo, hauptsächlich auf Instagram, fängt Kamp gegen Ende 2021 an, sein neues Album »2urück 0hne 2ukunft« anzuteasern. Produziert wird es diesmal von Fid Mella, der sich im deutsch- und italienischsprachigen Raum schon lange einen Namen gemacht hatte und seit »Hi-Hat Club 3 & 4« (2010) nicht nur im Producer-Umfeld eine fixe Größe ist. Die Connection zu Whizz Vienna besteht immer noch, aber nach einer Explosion in Whizz’ Wohnung dürfte sich hier einiges geändert haben.
Nichts geändert hat sich am Style von Kamp. Es werden weiterhin – zum Missfallen aller deutschen HipHop-Fans – österreichische A- und B-Promis für Vergleiche herangezogen und lyrisch verwurstet. Und bei Lines wie »Andi Borg ma a Naserl Schnee, ich watsch H. C. mit’m Akkordeon vom Gabalier, dass den Zwergpinscher herprackt« weiß man, wieso man Kamp über alles lieben muss und er lyrisch immer noch die Nummer Eins im deutschsprachigen HipHop ist. Gesampelt werden auch weiterhin alte Kamp-Nummern, denn wer kann besser als Kamp beschreiben, was passiert ist, ohne den Flow zu stören.
Musikalisch ist der Schritt von Whizz Vienna, Brenk und Saiko zu Fid Mella doch ein größerer Bruch, als man denkt. Weg von 60-bpm-Opiummusik zu etwas schnelleren Beats, die hochgepitcht sind und sich ab und zu mit den Vocals um die Aufmerksamkeit batteln. Für Nostalgiker ist dies am Anfang etwas gewöhnungsbedürftig – nach dem dritten Stoli hat man sich aber auch damit arrangiert und spätestens beim Blick in den Kalender merkt man, dass es 2022 ist und die Entwicklung im HipHop auch vor Kamp nicht Halt macht.
Auch wenn das Gefühl entsteht, dass die Themen gleichgeblieben sind, wird bald deutlich, dass sich die Prioritäten geändert haben. Kamp hat seine Mutter verloren und ist immer noch dabei, das zu verarbeiten. Andererseits ist er Vater geworden und hat mit der schon auf dem letzten Album besungenen Nora ein neues Kapitel in seinem Leben aufgeschlagen. Daraus resultiert auch »V02«: Aus VOZ wird Version 2 – die bessere Kamp-Version, Superstar statt Versager.
Am Ende bleibt das Gefühl, einen guten Freund nach 13 Jahren wieder getroffen zu haben. Man hat die ganze Nacht mit Stoli und Geschichten verbracht und im Hintergrund hat jemand anderer die Musik im Wurlitzer ausgesucht als 2009. Auch wenn alles neu und anders ist, ist es doch auch vertraut und man merkt, das Versager-Sein hat man hinter sich gelassen, man ist jetzt halt auch nur ein Mensch und öfter der Florian als der Kamp – und das ist vielleicht auch gut so. Und man hat sich geschworen, man trifft sich jetzt öfter und lässt nicht so viel Zeit dazwischen – deshalb drückt man wieder auf Play und der Film der letzten Jahre startet aufs Neue und man findet Details in den Geschichten, die man beim ersten Mal noch überhört hat.